Bericht

Richard David Precht über Philosophie, Bewusstsein und die Grenzen des guten Menschen

 

In einem vielschichtigen Gespräch auf der Frankfurter Buchmesse gibt der Philosoph und Autor Richard David Precht Einblicke in seine Ansichten zur Philosophie, zur menschlichen Natur und zu den Grenzen des Bewusstseins. Sein Bestseller „Wer bin ich“ wurde kürzlich als Taschenbuch und Graphic Novel neu veröffentlicht. Precht begibt sich in einer Art fiktiver Abenteuerreise mit bedeutenden Denkern wie Nietzsche, Descartes und Freud und erkundet die Ideen, die ihn selbst prägen. Neben seiner Sicht auf das Lernen und die akademische Philosophie teilt er auch seine Überlegungen zur moralischen Natur des Menschen und wie diese unsere Politik und Gesellschaft beeinflusst.

Die „Bewusstseinsvilla“ und die Grenzen der Wahrnehmung

Precht beschreibt in der Graphic Novel eine Art „Bewusstseinszimmer“, ein Bild für die Vorstellung, dass unser Denken und Fühlen immer innerhalb der Grenzen unseres eigenen Bewusstseins bleibt. „Wir können aus der Immanenz unseres Bewusstseins nicht in die Transzendenz einer objektiv existierenden Außenwelt springen, weil alles, was wir über die Welt wissen, in diesem Zimmer gedacht wird“, erklärt er. Selbst die Vorstellung, dass es Dinge außerhalb unserer Wahrnehmung gibt, etwa Steine auf dem Mond, bleibt für uns nur eine Idee, die innerhalb dieses Raumes existiert. Dieses Bild der Bewusstseinsvilla steht für die Unmöglichkeit, eine völlig objektive Wirklichkeit zu erfassen – ein Grundthema in Prechts Werk.

Vom Abenteuer Philosophiestudium zur Kritik an der Universität

Für Precht war die Philosophie stets eine persönliche Entdeckungsreise, die in ihrem Kern aufregend und abenteuerlich war. Die strikten Strukturen heutiger universitärer Ausbildung sieht er hingegen kritisch: „Ich fand das immer schon eigenartig, dass irgendein mittelmäßiger Professor, den keiner kennt, jetzt eine Einführungsvorlesung macht, die ich pflichtmäßig besuchen muss, wo es doch viel bessere Leute gibt, die das viel besser gemacht haben.“ Für ihn sei das Philosophieren ein freies Erforschen von Wissen, das durch die starre Universitätsstruktur zu stark eingeschränkt wird. Seinen eigenen akademischen Weg beschreibt er als selbstgeleitete Lektüre zu Hause – eine Art Haus- und Selbststudium, das ihm die nötige Tiefe gab, die die Philosophie für ihn bereithält.

Die menschliche Natur: Gut oder böse?

Die Frage, ob der Mensch von Natur aus gut oder böse ist, beantwortet Precht differenziert. Zwar streben Menschen danach, „sich selbst für die Guten zu halten,“ doch gleichzeitig gilt: „Menschen sind aber lieber die Bösen als die Dummen.“ Der Wunsch, klug und moralisch überlegen zu erscheinen, kann dazu führen, dass Menschen ihre eigene Güte aufgeben, wenn sie dafür als naiv oder dumm angesehen würden. Ein Beispiel für diese Dynamik sieht Precht auch in der Politik, wo moralische Prinzipien oft zugunsten von Machtstrategien geopfert werden. Er beschreibt das Ränkespiel in der Politik als „unausgesetztes Ränke- und Rankünespiel,“ das dazu führt, dass „ein zu guter Mensch zu sein verhindert, dass man es dauerhaft in der Politik aushält.“

Precht spricht auch über die Figur Donald Trump, die oft als Inkarnation des „Bösen“ betrachtet wird. Hierzu hat er eine klare Meinung: „Ich glaube überhaupt nicht, dass Donald Trump ein böser Mensch ist. Ich glaube, das ist ein Mensch, der von Kindesbeinen nicht gelernt hat, Verantwortung für das, was er sagt und was er tut, zu übernehmen.“ Vielmehr sieht Precht bei Trump einen Mangel an Verantwortungsbewusstsein, hervorgerufen durch Erziehungsfehler und fehlende Konsequenzen in seinem Umfeld, was zu einem egozentrischen Charakter geführt hat. Diese Sicht macht Precht jedoch nicht blind für die Verantwortung, die öffentliche Personen wie Trump für ihr Handeln übernehmen müssten.

Die heutige Gesellschaft: Eine Zeit der philosophischen Krise?

Precht sieht unsere aktuelle Gesellschaft in einer Phase der philosophischen Orientierungslosigkeit. In den ruhigen Jahren der Merkel-Ära, so Precht, hatten die Menschen mehr Muße, sich mit philosophischen Fragen zu beschäftigen, da diese Zeit weniger von Krisen geprägt war. „Die Merkel-Jahre waren eine gute Zeit für Philosophen, weil sie politisch so ruhig waren, hatten die Leute viel Zeit, darüber nachzudenken, über Sinnen und Glück und so weiter.“ In Zeiten von Krisen, wie dem Klimawandel und globalen Konflikten, werde die philosophische Perspektive jedoch zunehmend an den Rand gedrängt.

Ein möglicher Ausweg aus dieser Krise liegt für Precht im moralischen Universalismus von Immanuel Kant. Dieser fordert, dass alle Menschen und Kulturen „grundsätzlich ethisch gleich betrachtet werden müssen,“ was Precht als eine der wichtigsten Einsichten für die Menschheit betrachtet. „Das ist eigentlich der Maßstab, an dem wir uns orientieren sollten,“ betont er. Jedoch sieht er diesen ethischen Grundsatz im politischen Alltag kaum umgesetzt.

Fazit

In diesem umfassenden Gespräch gibt Precht Einsicht in seine komplexen Überlegungen zum Wesen des Menschen, der Natur des Denkens und der Lage unserer Gesellschaft. Die „Bewusstseinsvilla“ und der Wunsch nach moralischer Selbstüberhöhung, der den Menschen oft leitet, zeigen die Ambivalenzen menschlicher Natur und philosophischer Erkenntnis. Letztlich bleibt für Precht die Philosophie ein „Abenteuer,“ das immer neue Fragen aufwirft und eine unerschöpfliche Quelle des Denkens ist – ein Abenteuer, dessen Reiseziele trotz aller Herausforderungen zu tiefgreifender Selbst- und Welterkenntnis führen können.